Offen zum Meer und offen zur Welt – wollen die Bürger und Bürgerinnen von Thessaloniki an dieses Leitbild ihrer einstmals multikulturellen Stadt wieder anknüpfen? Das scheint schwer vorstellbar in Zeiten der Krise, wo bei den meisten Menschen die Sorge um das eigene Leben und Überleben überwiegt und Einwanderung als zusätzliche Last gesehen wird. Und wie kann so etwas wie Vergegenwärtigung der Geschichte, in einer Stadt, die weltoffen sein will, bewerkstelligt werde, wenn nicht durch die Auseinandersetzung über den öffentlichen Raum?
Besonders deutlich werden Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen historischen Raums am Platz der Freiheit in Thessaloniki. Er dient als Parkplatz, an dessen Rand, zwischen parkenden Autos, ein kleines Mahnmal an den Holocaust von 50.000 Juden Thessalonikis erinnern soll, die hier nach ihrer Vertreibung aus Spanien ihr „zweites Jerusalem“ fanden. Auf diesem Platz wurden am „schwarzen Samstag“ des 11. Juli 1942 9.000 Männer von den deutschen Nazis zusammengetrieben und öffentlich gedemütigt, bevor 4.000 von ihnen zur Zwangsarbeit abtransportiert wurden.
Sein Name „Freiheitsplatz“ erinnert indessen an die Revolution der Jungtürken, die von Thessaloniki ausging und 1908 die Verfassung eines neu zu gründenden türkischen Nationalstaats ausriefen. Unter ihnen Mustafa Kemal, der Gründer der modernen Türkei bekannt als Kemal Atatürk, der in Thessaloniki aufwuchs. Sein Name ist verbun-den mit dem Sieg türkischer Truppen über das griechische Expeditionschor in Klein-Asien, die 1922 in die „große Katastrophe“, zum Untergang einer Kultur und der Vertreibung von über einer Million Griechen mündete. Viele von ihnen kamen als Flüchtlinge nach Thessaloniki.
Unter dem Asphalt dieses Parkplatzes liegt die jüngste Geschichte dieser Stadt, verborgen und den meisten Bürgern unbekannt. Und nicht nur hier. Die Erinnerungsorte im öffentlichen Raum sind verschwunden oder verborgen und anonym. Das soll sich ändern. Die Stadt will den Platz der Freiheit zu einem öffentlichen Raum umgestalten, zu einem öffentlichen Raum der Erholung und Erinnerung, der Begegnung und der Vergewisserung der Stadtgesellschaft. Die Ausschreibung ist erfolgt, die Jury hat sich für einen Entwurf entschieden und weitere Entwürfe gewürdigt. Was noch fehlt: dass die Neugestaltung dieses öffentlichen Raums zum Stadtgespräch wird. Durch eine öffentliche Diskussion und Bürgerbeteiligung sollen die Architektenentwürfe konkretisiert werden.
In dieser für griechische Verhältnisse einmaligen öffentlichen Konsultation sind die Erfahrungen anderer europäi-scher Städte, die über ihre Erinnerungsorte öffentlich verhandeln, von großem Interesse.
PROGRAMM
10.00 Eröffnung
Jannis Boutaris, Bürgermeister von Thessaloniki
Sergey Lagodinsky, Heinrich-Böll Stiftung, Berlin
10.00 13.00
Die Neugestaltung des Platzes der Freiheit
Moderation: Petros Dimitrakopoulos, Vorsitzender 1. Bezirk Thessaloniki
- Der Platz der Freiheit - Ein Treffpunkt der jüngeren Geschichte Thessalonikis
Vilma Hastaoglou-Martinidi, Architektin/Stadtentwicklerin und Elli Gala-Georgala, Ingenieurin - Welche Narrative waren der Jury wichtig, welche den alternativen Entwürfen?
Dimitris Fatouros, Prof. em., Jury Vorsitzender und Nikos Papamichos, Stadtplaner, Jurymitglied - Vorstellung des prämierten Architektenentwurfs
Themistoklis Chatzigianopoulos und Konstantinos Charalmbidis, Architekten, Yiannis Megas, Ingenieur, Leiter der Studiengruppe
Was ist den Bürgern und Bürgerinnen wichtig?
Statements:
- Iosif Vaena, Apotherker
- Filippos Oraiopoulos, Architekt
- Pelagia Astreinidou-Kotsaki, Architektin
- Prodromos Markoglou, Schriftsteller
- Dimitris Chatzopoulos, Vorsitzender des Architektenvereins
- Ioannis Kiourkstoglou, Fremdenführer
12.00 Diskussion
13.00 Führung durch die Ausstellung durch Andreas Kourakis,
Vize-Bürgermeister für Stadtentwicklung
14.00 Lunch
14.00-16.30
Geschichte in Bewegung: wie entdecken die Bürger und Bürgerinnen die Geschichte ihrer Stadt, wie erleben und gestalten sie ihre Stadt mit?
Moderation: Eleni Hodolidou, 1. Bezirksverordnete, Professorin Pädagogik Univ. Thessaloniki
- Gedächtnisse in der multikulturellen Gesellschaft: Partizipation ermuntern
Ulla Kux, Programmleiterin des Förderprogramms Geschichte(n) in Vielfalt, Stiftung Erinne-rung, Verantwortung und Zukunft, Berlin - Schulische und öffentliche Geschichte: von der Auseinandersetzung zur Synthese
Dimitris Mavroskoufis, Professor für Didaktik und Bildungsgeschichte - Historische Intervention im öffentlichen Raum: zwischen wissenschaftlicher Forschung und zivilgesellschaftlicher Aktion
Georg Traska, Institut für historische Intervention, Wien - Die Juden von Thessaloniki: nach dem Genozid der „Mnemozid“
Rena Molho, Historikerin
Statements:
- Grigoris Abatzoglou, Professor für Psychiatrie, Univ. Thessaloniki
- Yiannis Glarnetatzis, Autor und Stadtführer
- Valbona Chistouna, Verein Migrantinnen aus Albanien
- Despina Syrri, Soziologin, „Symviosis“
- Jota Gatsi, Lehrerin
Diskussion