Europawahlen in Griechenland

Analyse

Griechenlands politische Landkarte ist nach den Wahlen blau mit nur wenigen roten Einsprengseln. Blau ist die Farbe der konservativen Nea Dimokratia. Die hat bei den Europawahlen und den gleichzeitig stattfindenden Regional- und Kommunalwahlen fast überall gewonnen. Das regierende Bündnis der Linken (SYRIZA) hat eine schwere Niederlage erlitten. Noch am Abend kündigte Ministerpräsident Tsipras vorgezogene Neuwahlen an. Bis zum Wahltag am 7. Juli dürfte der Vorsprung der Konservativen nur schwer aufzuholen sein.

Europawahlen in Griechenland - Eine griechische Nationalflagge weht vor blauem Himmel

Das nach drei Tagen festgestellte Ergebnis bestätigt, was sich schon in der Wahlnacht abzeichnete: die konservative Nea Dimokratia hat  bei der Europawahl mit rund 33,12 Prozent der Stimmen und 8 MEPs die Regierungspartei SYRIZA, die nur 23,76 Prozent der Stimmen erhielt, mit nahezu 10 Prozent hinter sich lassen. Drittstärkste Kraft wird mit 7,7 Prozent die sozialdemokratische KINAL (Bewegung für den Wandel), die sich vor 2 Jahren als eine Sammlungsbewegung für linksliberale Kräfte jenseits von SYRIZA zu etablieren versuchte, aber praktisch noch immer die alte PASOK ist. Auch die europakritische Kommunistische Partei Griechenlands erlitt gegenüber 2014 Verluste und kam nur auf 5,35 Prozent.

Von den vielen rechts- und linksextremen, europakritischen und -feindlichen Parteien und Gruppierungen, die bei diesen Wahlen erneut oder erstmalig antraten, übersprang die neofaschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) die 3-Prozent-Hürde. Mit 4,9 Prozent wurde ihr Ergebnis gegenüber 2014 halbiert. Wenn man bedenkt, dass ihre gesamte Führungsriege wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht steht, ist das immer noch erschreckend viel. Ein Teil ihrer Wähler/innen ging zur neu gegründeten Partei Elliniki Lysi (Die Griechische Lösung), die mit ihrer nationalistischen, europafeindlichen und pro-russischen Haltung 4,1 Prozent der Wähler/innen gewinnen konnte. Insgesamt haben die linken und rechten europakritischen und -feindlichen Kräfte schlechter abgeschnitten, als von vielen befürchtet. Sie erreichen aber immer noch etwa 17 Prozent Zustimmung.

Einen Achtungserfolg errang die von Yannis Varoufakis ins Leben gerufene europäische Bewegung DiEM25 (Demokratie in Europa), die in Griechenland den kämpferischen Namen MeRA25 (Front des realistischen europäischen Ungehorsams) trägt. Sie scheiterte mit 2,99 Prozent knapp, hat aber SYRIZA wichtige Stimmen abgenommen. Varoufakis selbst hat in Deutschland auf einer transeuropäischen Liste für das Europäische Parlament kandidiert und ist damit klar gescheitert. Der griechische Zweig von DiEM, sein Name kündigt es an, fordert darüber hinaus, die Euro-Politik durch gezielten Ungehorsam (wie Italien?) unter Druck zu setzen und ein Abrücken von der Austeritätspolitik zu erzwingen. Ein Plan, mit dem Varoufakis schon 2015 als griechischer Finanzminister an der unnachgiebigen Troika scheiterte  - und damit den Schuldenberg Griechenlands um einige Milliarden erhöhte.

Gescheitert sind auch die griechischen Grünen, die wie bei den letzten Europawahlen mit zwei konkurrierenden Listen angetreten sind. Die Oikologoi Prasinoi (Ökologische Grüne), die Mitglied der europäischen Grünen Partei sind und 2015 bei den Nationalwahlen nicht eigenständig, sondern auf der Liste von SYRIZA kandidierten, erzielten 0,9 Prozent und die Oikologia- Prasinoi-Allilengi (Ökologie-Grüne-Solidarität) brachten es nur auf 0,45 Prozent. Beide Listen erhielten weniger Stimmen als bei den letzten Europawahlen. Zerstritten und gespalten, konnten beide grüne Parteien keine Wähler/innen gewinnen und auch nicht von der grünen Welle in vielen europäischen Ländern profitieren. In Griechenland finden ökologische und linke Politik noch nicht zueinander – ein Phänomen, das in ganz Südeuropa zu beobachten ist.

Interessant ist auch das Wahlverhalten junger Wähler/innen zwischen 17 und 24 Jahren. Laut den exit polls wählten sie zu rund 30 Prozent die Nea Demokratia und zu 25 Prozent die SYRIZA. Alarmierend ist aber die hohe Zustimmung zu der rehtsextremen Chrysi Avgi (13 Prozent).

Innenpolitik hatte Vorrang vor Europa

Die Europawahl stand ganz im Schatten der innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Bewältigung von 10 Jahren Krisenpolitik, immer noch extrem hoher Arbeitslosigkeit, vor allem bei der Jugend, verbreiteter Armut, rekordhoher Besteuerung und fehlenden Investitionen. Europa spielte, wie auch in anderen Ländern zu beobachten war, nur eine Nebenrolle oder war Mittel der Ausgrenzung: hier die Pro-Europäer und dort die Anti-Europäer.

Dass „nur“ 17 Prozent der Wähler teils oder ganz gegen die Mitgliedschaft Griechenlands in der EU sind, heißt nicht, dass die anderen 83 Prozent glühende Anhänger der EU sind. Zur Europäischen Union haben die Menschen in Griechenland eher ein zwiespältiges Verhältnis. Sie verbinden mit der herrschenden Politik in Europa sehr viele Zweifel (Eurobarometer 2017: 42 Prozent, EU-Durchschnitt: 33) und wenig Hoffnung (Eurobarometer 2017: 20 Prozent, EU-Durchschnitt: 28).

Zugleich wollen sie, dass ihr Land der EU angehört und im Euroraum verbleibt. Die Mitgliedschaft im Club hat Griechenland den Zugang zu enormen Mitteln aus den Strukturfonds und zu administrativer Unterstützung verschafft und wird darüber hinaus als Schutz vor aggressiven Nachbarn wie etwa der Türkei und als Privileg gegenüber den nördlichen Nachbarn im Balkan empfunden.

Die Mitgliedschaft im Euro wird als Schutz vor der Politik der früheren Regierungen empfunden, die zu steter Inflation und periodischen Abwertungen führte und die den Wähler/innen nur zu gut in Erinnerung ist. Als sie im Juli 2015 beim Referendum die Spar- und Reformauflagen der EU für ein drittes Hilfsprogramm mit großer Mehrheit (62%) mit „Ochi“ (Nein) zurückwiesen, stimmten die Griechen/innen für Souveränität, Würde und Ehre.

Als dann aber Ministerpräsident Tsipras dennoch die Auflagen eines dritten Memorandums akzeptierte, weil er nicht den Grexit riskieren wollte, sprach ihm und seiner um die Eurogegner bereinigten Partei und seinem rechtspopulistischen kleineren Partner ANEL (Unabhängige Griechen) bei den Neuwahlen im September 2015 die Mehrheit erneut das Vertrauen aus– etwas weniger hoffnungsvoll als noch im Januar 2015, aber doch eindeutig. Mit seiner als „Rolle rückwärts“ verspotteten Verwandlung des Ochi in ein mehr oder weniger klares Nai (Ja) hat Tsipras das ambivalente Verhältnis vieler Menschen im Land zur EU zum Ausdruck gebracht.

Das Kalkül der SYRIZA-Regierung

Die Regierung Tsipras hat bei den Wahlen vor allem auf zwei Karten gesetzt. Erstens auf die Beendigung der Memoranden im August 2018, die als Wiedererlangung der nationalen Souveränität groß gefeiert wurde. Seitdem ist die Regierung etwas besser in der Lage, ihr Programm und die eigenen Prioritäten durchzusetzen. Zweitens hat SYRIZA auf den internationalen Zuspruch für das „Abkommen von Prespes“ gesetzt, mit dem der Namensstreit mit dem nördlichen Nachbarn, dem heutigen Nord-Mazedonien, beendete wurde und das neue Möglichkeiten für das friedliche Zusammenleben in der Region eröffnet.

Aus der Sicht der Regierung müssten zumindest diese Erfolge die Menschen überzeugen, erneut sie und nicht die Konservativen zu wählen, die neoliberal auf den Markt setzen, den Sozialabbau fortsetzen und eine Politik zugunsten der „Reichen“ verfolgen würden. Dieses Kalkül ging jedoch nicht auf.

Seit Beendigung des dritten Hilfsprogramms im August 2018 ist Griechenland zumindest formell wieder ein gleichberechtigtes Mitglied der EU. Faktisch aber ist immer noch stark abhängig, weil hochverschuldet. Es braucht das Entgegenkommen der Gläubigerländer in der Eurogruppe. Die Politik von „sticks and carrots“, die in der Zeit der Hilfsprogramme den griechischen Regierungen fortlaufend „Hausaufgaben“ zuwies, Noten für die Durchführung „schmerzlicher Schnitte“ erteilte und dann Kredite freigab, wird auch heute, wenn auch weniger offensichtlich fortgesetzt. Die Regierung wird weiterhin genau kontrolliert, ob sie die Bedingungen des Memorandums einhält, die an erster Stelle bis 2022 einen jährlichen hohen Haushaltsüberschuss von 3,5 Prozent vorsehen. Ohne hohe Wachstumsraten der Wirtschaft, strikte Ausgabenkontrolle und/oder hohe Steuern ist dieses Ziel nicht zu erreichen.

Tatsächlich konnte in den vergangenen zwei Jahren bei geringen Wachstumsraten mit harter Sparpolitik, sehr hohen Steuern und Abgaben von Bürgern und Unternehmen und einer gewissen Eindämmung der Steuerflucht der vorgesehene Primärsaldo erreicht und sogar übertroffen werden. Diesen überplanmäßigen Überschuss nutzte die Regierung - mit Zustimmung der EU-Kontrolleure und des größeren Teils der Opposition - so gut wie ausschließlich für sozialpolitische Maßnahmen zugunsten von ärmeren Arbeitslosen, Niedrigrentnern und Geringverdienern.

Der Mindestlohn und die Sozialhilfe wurden angehoben. Überschuldete Haushalte und Unternehmen erhalten staatliche Zuschüsse, damit sie sich mit ihren Banken auf einen Rückzahlungsplan für die „roten Kredite“ einigen können. Dagegen gingen die Privatwirtschaft und die vielen Selbstständigen leer aus. Sie müssen weiter wegen der sehr hohen Besteuerung und unverhältnismäßig hohen Abgaben täglich um ihr Überleben kämpfen und wählen als Ausweg entweder die Steuerhinterziehung, den Bankrott oder den Gang ins Ausland.

Trotz massiver Kritik vonseiten der Opposition, der Wirtschaftsverbände und Kammern setzt die Regierung ihre einseitige Umverteilungspolitik in diesem Jahr fort. Anfang des Wahljahres verabschiedete sie weitere soziale Maßnahmen, darunter eine sozial gestaffelte Rentenerhöhung, die vor allem den Ärmsten der 2,5 Mio. Rentner/innen zugutekommen soll, und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Niedrigverdiener. Darüber hinaus senkt sie die Mehrwertsteuer für Energie, Lebensmittel und Gastronomie von 24 auf 13 Prozent, die allerdings allen Verbraucher/innen zugutekommen und den Tourismus fördern soll - sofern die Preise auch entsprechend sinken sollten.

Doch diese Politik hat nicht überzeugen können. Ein beträchtlicher Teil, fast ein Drittel der rund 2 Millionen Wähler/innen, die im September 2015 SYRIZA die Regierungsgeschäfte zugetraut hatten, entzogen ihr dieses Mal die Unterstützung. Obwohl es nicht um die Wahl der Regierung ging, hatten Regierung und Opposition die Europawahl zur Testwahl für die regulär im Herbst anstehenden Parlamentswahlen erklärt und damit auf eine maximale Mobilisierung ihrer Anhänger gesetzt. Der ND ist es gelungen, der SYRIZA nicht. Ein Teil ihrer Anhänger nahm die sozialen Maßnahmen als Almosen oder als wahltaktisches Manöver wahr und bestraften sie mit Enthaltung oder mit der Wahl radikaler Parteien.

Traditionell nicht-linke Wähler/innen hatten 2014 bei den Europawahlen und 2015 bei den Parlamentswahlen die Linke gewählt, weil sie ihnen das Blaue vom Himmel versprochen hatte: Schuldenschnitt, finanzielle Autonomie, Ende der Sparpolitik, Bekämpfung der Korruption und vieles mehr. Jetzt sind sie bitter enttäuscht und kehren zurück. Sie erkennen zwar an, dass die sozialen Maßnahmen der Regierung kurzfristig eine gewisse Erleichterung verschaffen. Aber eine Politikwende erkennen sie nicht: keine Reform des nach wie vor nicht handlungsfähigen Staatapparats, keine faire Besteuerung von Unternehmen, die ihnen ein Überleben ermöglicht, keine Politik, die dem Land zu einem nachhaltigeren Wachstum und neuen dauerhaften Arbeitsplätzen im privaten Sektor verhilft.

Der gesamte private Sektor sieht sich durch die Regierungspolitik im Vergleich zum in Griechenland traditionell besser gestellten öffentlichen Sektor benachteiligt. Dies sollen jetzt die konservative Nea Dimokratia, die programmatisch stärker auf den Markt setzt, und ihr Vorsitzender Kyriakos Mitsotakis, der lange Zeit wie ein Unternehmensberater auftrat, ändern.

Ob die Regierung Tsipras und SYRIZA mit einer mittelschichtsfreundlicheren Steuerpolitik mehr Zustimmung für die Durchsetzung sozialer Mindeststandards erzielt hätte, ist indes zu bezweifeln. Schließlich ist der Egoismus der griechischen Mittelschicht, die viele Jahre lang möglichst jede Steuerzahlung vermieden hat, legendär.

Zur Abwanderung der Wähler/innen von SYRIZA haben noch zwei weitere Faktoren beigetragen, die hier nur kurz angedeutet werden können, obwohl sie dazu nicht unerheblich beigetragen haben: Das überhebliche Auftreten ihrer Politiker/innen („Wir sind die Saubermänner, die anderen die Banditen“) und die damit einhergehende Diffamierung der politischen Gegner hat die Polarisierung in der öffentlichen Debatte auf einen Höhepunkt getrieben. In diesem vergifteten Klima dominieren Misstrauen und Missgunst, selbst die sozial absolut gerechtfertigte Maßnahme erscheint so nur als billiger Wahlkampftrick und Kauf der Wähler/innen. Auch dafür wurde SYRIZA abgestraft.

Außenpolitischer Erfolg mit hohem politischem Preis

Zur Niederlage der Regierungspartei hat auch der größte außenpolitische Erfolg der Regierung Tsipras beigetragen – die Überwindung des sog. Namenstreits mit der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, die jetzt offiziell Nord-Mazedonien heißt und deren NATO- und EU-Mitgliedschaft Griechenland nicht länger zu blockieren verspricht.

Für Außenstehende waren die Emotionen und die nationale Erregung, die den Streit immer wieder entfachten, nicht nachvollziehbar. Sie haben ihren Grund im kollektiven Gedächtnis der beiden Völker nach konfliktreichen Prozessen der Hellenisierung des griechischen und der Slawisierung des nördlichen Teils von Mazedonien seit dem Zerfall des osmanischen Reichs vor 100 Jahren. Gut nachvollziehbar waren hingegen die Gründe für die Auflösung des Streits durch einen Kompromiss, der beiden Seiten nützen und die geopolitischen Interessen von NATO und EU befriedigen würde.

Im Balkan ringen Russland, die Türkei, China und NATO und EU um Einfluss und Märkte. Die EU fürchtet Aufstände ethnischer Minderheiten und gewaltsame Konflikte um Grenzverschiebungen. Der ausgehandelte Kompromiss trägt zur Stabilisierung Nord-Mazedoniens und damit zur Stabilität der Region bei. Die Regierung Tsipras hat hier mit Geschick und Kompromissbereitschaft geliefert. Aber der politische Preis dafür ist hoch: Über 60 Prozent der Menschen in Griechenland sind gegen einen Kompromiss mit einem Land, dem sie sich überlegen fühlen. Sie sind nicht zuletzt gegen jede Nachgiebigkeit, weil sie unter dem Druck der NATO und Europäer zustande kommt, von denen sie sich in den vergangenen 10 Krisenjahren gedemütigt fühlen. Zu dieser Empfindung hat SYRIZA im Übrigen selbst mit seiner Polemik bis zur Regierungsübernahme und noch ein paar Monate darüber hinaus kräftig beigetragen. Selbst die Anhänger von SYRIZA stehen im Namensstreit nur zur Hälfte hinter ihrer Regierung.

Die Versuche der Regierung, Kapital aus dem internationalen Lob zu schlagen, das sie von den USA, der NATO und der EU für ihren Mut zum politischen Risiko erhalten, haben wenig gefruchtet. Bei diesem hoch emotionalen nationalen Thema hat die Regierung versäumt, die Opposition mit einzubeziehen und sich zumindest mit Teilen von ihr auf einen gemeinsamen Kurs zu verständigen. So aber stand SYRIZA bei der Abstimmung im Parlament an einsamer Front, der gesamten Opposition und auch seinem Koalitionspartner ANEL gegenüber. ANEL ließ, wie seit langem angekündigt, über dieser Frage die Regierungskoalition platzen. Seitdem führt Ministerpräsident Tsipras eine Minderheitsregierung. Die parlamentarische Mehrheit erhielt er für den Vertrag von Prespes dank der Unterstützung der kleinen sozialliberalen Partei TO POTAMI (Der Fluss), die sich über dieser Frage gespalten hat und jetzt bei den Wahlen ebenfalls abgestraft wurde.

Mit Hilfe der Mazedonien-Frage haben die Parteien vom radikal linken und ganz rechten Spektrum Wahlkampf gegen den „Landesverräter“ Tsipras gemacht und den Nationalismus und Chauvinismus der Bevölkerung weiter geschürt. Auch die beiden oppositionellen Parteien ND und KINAL, die traditionell gegenüber NATO und EU freundlich gesonnen sind, lehnen bis heute den Kompromiss ab und tragen damit eine Mitverantwortung für die aufgeheizte Stimmung besonders in Nordgriechenland, die immer wieder zu Demonstrationen und Gewaltaktionen gegen die Befürworter des Kompromisses führen und dabei gelegentlich auch die Vertreter von ND und KINAL nicht verschonen.

Neuwahl von Parlament und Regierung

Wie sich das Wahlergebnis vom 26. Mai auf die nun bevorstehenden nationalen Parlamentswahlen in ein paar Wochen auswirken wird, lässt sich natürlich nur vermuten. Die beiden Hauptkontrahenten werden versuchen, ihre Anhänger noch mehr zu mobilisieren. Hoffentlich werden sie dabei auch über ihre Programme sprechen.

Dennoch kann man davon ausgehen, dass der deutliche Sieg der ND bei den Europawahlen eine politische Dynamik erzeugt, die nicht mehr umkehrbar sein wird. Es gehört zu den Kennzeichen von klientelistischen Gesellschaften, dass unentschiedene Wähler/innen letztlich zum Siegerlager gehören wollen und so noch rasch auf den Zug der aussichtsreichsten Partei aufspringen, von der sie sich nach der Regierungsübernahme dann Vorteile versprechen. Parteichef Mitsotakis hat eine moderne wirtschaftsfreundliche Politik versprochen. Ob er sich damit in seiner alten Klientelpartei durchsetzen kann, wird die spannende Frage nach den Wahlen sein.

Wie im übrigen Europa ist Griechenlands Parteienlandschaft durch die traditionelle Opposition von links – auf Umverteilen und Wohlfahrtsstaat orientiert - und rechts – marktorientiert - strukturiert. Die marktorientierten Konservativen dominieren seit je her in Europa, während die (sozialdemokratische) Linke zwischen Protektionisten und Sozial-Ökologen zerrieben wird. Auf der einen Seite nehmen ihr linke und rechte Parteien Stimmen ab, die sozialen Schutz nur noch gegen offene Märkte und im gestärkten Nationalstaat erwarten bzw. versprechen. Auf der anderen Seite verlieren sie an grüne Parteien, die sozialen Schutz europäisch organisieren wollen, vor allem aber auf Investitionen in Klimaschutz und nachhaltige Arbeitsplätze setzen.

In seiner gegenwärtigen Verfassung wird auch SYRIZA das Schicksal sozialdemokratischer Parteien erleiden. Die einst mächtige griechische PASOK hat ihr diese Erfahrung bereits voraus. Die sozial-ökologische Bewegung muss in Griechenland allerdings erst wachsen, bis sie eine überzeugende Alternative zur marktorientierten Europafreundlichkeit der Konservativen und der etatistischen Umverteilungspolitik von SYRIZA anbieten kann. Vorerst muss sich Griechenland wohl auf die nächste blaue Welle einstellen. Es wird Zeit und viel Arbeit brauchen, bis auch in Griechenland eine grüne Welle zu feiern ist.