Griechenland steht vor enormen Herausforderungen. Die Menschen im Land erwarten endlich neue Perspektiven. Einerseits bei der Bewältigung der Schuldenlast, anderseits ganz grundsätzlich. Sie wollen wissen: Welche Ideen eröffnen uns langfristig und nachhaltig neue Wirtschafts- und Wachstumschancen? Eine dieser Idee liegt auf der Hand und wird doch schnell übersehen: Energieunabhängigkeit. Auch Griechenland war bisher – wie viele andere EU-Partner – abhängig von fossilen Energieimporten. Auf mehrere hundert Milliarden Euro beläuft sich die Energierechnung, die Europa Jahr für Jahr an „nette Zeitgenossen“ wie den König von Saudi-Arabien oder Herrn Putin überweisen muss. Wären die Kosten der Folgeschäden und der Klimakrise eingepreist, die Rechnung würde deutlich höher ausfallen und wahrscheinlich die Billionen-Grenze pro Jahr überschreiten. Der volkswirtschaftliche Aderlass für Öl, Gas und Kohle – die Schmiermittel einer überkommenen weil nicht nachhaltigen Ökonomie – trifft das Land, das nicht wie Deutschland Exportweltmeister für weiterverarbeitete Produkte ist, ins Mark.
Abhängigkeit fossiler Energieträger ist enorme Belastung für griechische Wirtschaftskraft
64 Prozent des Energiebedarfs Griechenlands wird importiert (zum Vergleich EU-Durchschnitt 53 Prozent). Die Milliarden-Kosten für Energierohstoffimporte haben die Außenhandels-bilanz Griechenlands jahrelang ins Minus und indirekt die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben. Ohne Ölrechnung wäre Griechenlands Import-/Exportsaldo halbwegs ausgeglichen. Dass die griechische Wirtschaft Ende 2014 langsam wieder Tritt zu fassen begann, war nicht nur den langsam greifenden Reformen geschuldet, sondern auch das Ergebnis eines deutlich gesunkenen Ölpreises. Die griechische Ökonomie muss sich jedoch selbst bei stabilen politischen Rahmenbedingungen dringend auf die Zeit nach dem billigen Öl – wovon mittelfristig auszugehen ist – vorbereiten. Denn die fossile Importabhängigkeit liegt vor allem an den Ölimporten. Allein 54 Prozent des Energiebedarfs werden durch Erdöl gedeckt (zum Vergleich: Deutschland 36 Prozent). Dabei geht das Öl nicht nur in den Verkehrssektor, sondern wird in relevanten Größenordnungen verstromt. Insbesondere die zahlreichen griechischen Inseln bestreiten ihre Stromversorgung überwiegend mit ineffizienten und teuren Dieselgeneratoren. 700 Millionen Euro kostete es den griechischen Staat, den Strompreis dort herunter zu subventionieren. Unter anderem deswegen stieg allein zwischen 2008 und 2013 der Preis für Energie im Land um 60 Prozent. Den Großteil der Stromversorgung auf dem Festland deckt Braunkohle, weshalb im Norden des Landes – wie in Deutschland – ganze Landstriche abgebaggert und Menschen umgesiedelt werden müssen.
Erneuerbare und Energieeffizienz nachhaltig nutzen
Das Mittel gegen die Abhängigkeiten von Öl, Kohle und Gas kommt von Himmel: Mit vielerorts 300 Sonnentagen im Jahr und stabilen Windverhältnissen ist Griechenland prädestiniert für die Nutzung Erneuerbarer Energien. So hat Griechenland seit Beginn der Krise seinen Anteil
Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung gesteigert: 2010 war der Anteil von Wind und Sonne an der Stromzeugung praktisch bei Null. Heute sind es etwa 12 Prozent. Hinzu kommen noch gut 12 Prozent Wasserkraft, die schon lange genutzt wird. Der Anstieg auf momentan über 20 Prozent Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung geht vor allem auf die Einführung eines Einspeisetarifs nach dem Vorbild des deutschen EEG zurück, ist aber auch auf den durch die Krise verursachten Rückgang des Stromverbrauchs zurückzuführen. Fatalerweise wurde dieser Boom 2013/2014 jäh beendet, weil die Regierung die Tarife rückwirkend senkte.
So liegt das von europäischer und auch deutscher Seite hochgejubelte „Helios-Projekt“ im sonnenärmeren Norden Griechenlands erst mal auf Eis. Dort sollten ab 2015 in einem Mega-Park riesige Mengen Solarstrom erzeugt und ins Ausland exportiert werden. Doch es fehlte nicht zuletzt aufgrund politischer Instabilität an Planungssicherheit und damit einhergehend an Investitionen, aber vor allem auch am Netzausbau. Der ist teuer, und die bestehenden Netze sind weitgehend veraltet. Schwer umsetzbare solare Riesenprojekte und Planungen von internationalen Stromleitungen sowie Hoffnungen auf billiges Putin-Gas und Vorstellungen von unrealistisch hohen Öl- und Gasvorräten vor den Küsten des Landes verstellen den Blick auf die wirklichen Herausforderungen: Will Griechenland zeitnah seine Importabhängigkeit und damit die immensen Kosten für fossile Energierohstoffe reduzieren, ist eine dezentrale Energiewende hin zu Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz der deutlich sinnvollere Weg. So gilt es regionale Projekte zu unterstützen, wie etwa auf der Insel Sifnos. Dort soll mit Hilfe eines Wellenkraftwerks die Entsalzungsanlage der Insel mit Strom versorgt werden, ein Solarpark entstehen und drei traditionelle Windmühlen mit Turbinen ausgestattet werden. Solar- und Windstrom sollten sich in Griechenland dank seiner besseren natürlichen Bedingungen als in weiten Teilen Mittel- und Nordeuropas deutlich unter zehn Cent pro Kilowattstunde produzieren lassen. Das ist allemal günstiger als mit Öl- oder Gaskraftwerken oder die derzeit vier geplanten Kohlekraftwerke, eines – das 450 Megawatt Braunkohlekraftwerk Kozani-Ptolemaida – davon finanziert von der deutschen KfW, das derzeit vom Energieversoger PPC gebaut wird.
Mit einem ‚Green New Deal‘ jetzt Griechenland unterstützen
Griechenland hat genug Potential, um auf eine hundertprozentige Versorgung aus Erneuerbaren Energien umzustellen. Die dezentrale Energiewende braucht allerdings Voraussetzungen, die die griechische Regierung und die Europäische Union jetzt gemeinsam herstellen müssen. So bedarf es
- europäischer Unterstützung und Risikoabsicherung: Die griechische Regierung muss den neu eingerichteten EU-Investitionsfonds der Europäischen Investitionsbank und die schneller zur Verfügung gestellten EU-Strukturfondsmittel umgehend nutzen, um private und öffentliche Investitionen im Energiebereich anzukurbeln. Diese von Seiten der EU angebotene Unterstützung ist elementar, um das enorme Investitionspotenzial Griechenlands im Bereich Erneuerbare Energien und Energieeffizienz auch ausschöpfen zu können. Aufgrund der jahrelangen politischen Instabilität in Griechenland und zum Teil gravierender Fehler in der Krisenpolitik ist viel Vertrauen in die Investitionssicherheit Griechenlands verloren gegangen. Ohne Absicherung von Investitionen von außen würde es daher viel zu lange dauern, bis sich das notwendige Investitionsklima eingestellt hat.
- Auf europäischer Ebene für alle Staaten heruntergebrochene verbindliche nationale Ausbauziele für Erneuerbare Energien, um die nötige Sicherheit für Investitionen herzustellen.
- Klarer Regeln in Griechenland für die Einbettung Erneuerbarer Energien ins Energiesystem, zum Beispiel Vergütungsstrukturen ohne rückwirkende Eingriffe, Netzzugang, Vermarktung, Eigenstromnutzung. Nur wenn die Regeln klar sind, werden Investoren tätig werden.
- Sicherung der Akteursvielfalt und gleichwertiger Marktzugang für die Akteure. Staatliche Monopolisten und private Energieriesen-Konzerne stehen überall in Europa für die atomare und fossile Energiewirtschaft. Die Akteursvielfalt von Privatpersonen, mittelständischen Unternehmen und kommunalen Stadtwerken bringt Dynamik in eine dezentrale Energiewende.
- Intelligente Netztechnik und -strukturen, die die Einspeisung von Strom aus Wind, Wasser und Sonne ermöglicht. Das betrifft vor allem die lokale Verteilnetzebene, die vielerorts modernisiert werden muss. Besonders hier könnten europäische Institutionen eine entscheiden Beitrag zur Finanzierung leisten. Die vollständige Privatisierung der Stromnetze muss abgewendet werden.
- Ende der Finanzierung von Kohlekraftwerken durch internationale Geldgeber: Die bundeseigene KfW-Bank darf nicht weiter Kohlekraftwerksprojekte fördern und muss prüfen, ob sie aus dem geplanten 450 Megawatt Braunkohlekraftwerksprojekt Kozani-Ptolemaida im Norden Griechenlands aussteigen kann. Gleichzeitig müssen sich weitere internationale Geldgeber gegen die Subventionierung fossiler Kraftwerke aussprechen und die Mittel stattdessen für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz einsetzen.
- Schaffung eines „Marktes für Energieeffizienz“: Mit Mitteln aus dem europäischen Investitionspaket sollten Marktanreizprogramme für Effizienztechnologien und Beratungsangebote zur Energieeinsparung entwickelt werden.
- Gleichzeitig ist die öffentlich finanzierte Energieforschung konsequent auf das Gelingen der Energiewende auszurichten. Das schafft die Voraussetzung, dass der Umstieg auf die Erneuerbaren Energien auch nachhaltig gelingen kann.
Chancen nutzen
Nicht nur der neu gegründete EU-Investitionsfonds der Europäischen Investitionsbank und die schneller bereitgestellten Strukturfondsmittel aus dem EU-Haushalt bieten eine Chance für mehr nachhaltige Investitionen in Griechenland. Auch das Ende August 2015 von den 19 Euro-Staaten bewilligte dritte Kredit-Paket schlägt im Energiebereich endlich die richtige Richtung ein. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wie auch die Steigerung der Energieeffizienz spielen dort eine hervorgehobene Rolle. Richtig ist das Ziel, die marktbeherrschende Stellung des früheren Monopolisten und Staatskonzerns PPC zu reduzieren. Dies bietet Chancen für neue, mittelständische Akteure, wenn fortan kein Unternehmen mehr als 50 Prozent des in Griechenland verbrauchten Stroms erzeugen oder einführen darf. Doch dies kann nur der Anfang sein.
Die neue Regierung Griechenlands und die europäischen Institutionen werden sich daran messen lassen müssen, ob sie den Worten im neuen Memorandum of Understanding (MoU) auch Taten folgen lassen und aufbauend auf den jüngsten Vereinbarungen gemeinsam einen „Green New Deal für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz“ schaffen. Das böte eine echte Chance für das Land, aus der Abwärtsspirale herauszukommen und ein zukunftsweisendes Investition-, Infrastruktur- und Innovationsprojekt in Gang zu bringen: Die immense Importrechnung für Öl und Gas wird reduziert und die Erneuerbaren Energien schaffen Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Inland. Angesichts gesunkener Preise von Photovoltaik-Modulen findet die Wertschöpfung zu 75 Prozent bei der Installation vor Ort statt. Kleine mittelständische Handwerksbetriebe erhalten so langfristig durch Installation und Wartung Aufträge und schaffen damit Arbeitsplätze.
Angesichts des irrationalen Vertrauens in die fossile Energiewirtschaft und alter Seilschaften wird dies jedoch kein Selbstläufer sein, sondern erfordert ein radikales Umdenken in der Wirtschafts- und Energiepolitik und echte Führungsstärke. So bezeichnete der ehemalige Energieminister Lafazanis (Syriza) Kohle jüngst noch als die unverzichtbare und „billigste Energiequelle“ und wollte mehr Gas importieren, um Öl zu ersetzen.
Die Beendigung der Abhängigkeit von fossilen Energien mit all ihren negativen Konsequenzen für Klima, Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft wäre somit eine griechische und eine europäische Zeitenwende. Sie ließe sich mit einem Green New Deal gemeinsam meistern. Und Griechenland könnte dabei vom Krisen- zum Modellfall werden, denn die fossile Abhängigkeit ist in den anderen 27 EU-Staaten nicht anders als in Griechenland.