Athen hat am Dienstag ein neues, auf zwei Jahre befristetes Hilfsprogramm beim Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM beantragt. Der Antrag, der die Unterschrift des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras trägt, kam zu spät und war schlecht vorbereitet. Er forderte Geld, ohne Bedingungen zu erwähnen. So konnte die Pleite gegenüber dem IMF nicht abgewendet werden. Zusätzlich gingen Griechenland durch das Auslaufen des zweiten Hilfsprogramms von mehr als 10 Mrd. € verloren – Mittel, die dem Land in den nächsten Tagen und Wochen bitter fehlen werden.
Die Regierung hätte möglicherweise diesen Schaden verhindern können, wenn er den letzten Vorschlag der Institutionen angenommen hätte, der seit Samstagmorgen auf dem Tisch liegt. Sie hat dies in einer sich zunehmend verhärtenden Situation nicht getan, obwohl sich Kommissionspräsident Jean Claude Juncker mit dem Angebot weitgehender Verbesserungen am Vorschlag der internationalen Kreditgeber weit vorgewagt hatte. Die griechische Regierung zog es vor, die Partner mit einem Antrag auf Hilfsmittel für die Stabilisierung des Euro abermals zu überraschen und damit den Gegenstand der Verhandlungen auf ein neues Feld zu bringen, das erneut mühsame und zeitraubende Gespräche erforderlich macht. Es scheint unwahrscheinlich, dass er damit auf Zustimmung treffen wird. Denn die würde von Seiten der Euro-Finanzminister das Eingeständnis bedeuten, dass der Euro nicht stabil ist. Und auch die neueste Initiative der griechischen Regierung, das Angebot, das am vergangenen Samstag hätte verhandelt werden sollen, mit Einschränkungen zu akzeptieren, scheint eher kommunikativen Zwecken zu dienen, als eine Lösung herbeiführen zu wollen.
Wenn man berücksichtigt, dass Tsipras und seine Partei seit 2010 mit Inbrunst gegen die Sparprogramme polemisierten und sich mit Vehemenz gegen die Perspektive eines neuen Hilfsprogramms bis Montagmittag gestellt hatten, wird offensichtlich, dass die Regierung in Athen über diesen Vorschlag in Wirklichkeit keine Einigung mit den Partnern anstrebt. Worum es geht, ist der belagerten und beunruhigten griechischen Bevölkerung zu suggerieren, dass der Draht der Gespräche mit den EU-Partnern nicht abgebrochen wurde, dass am Montag nach dem Referendum nicht der Alleingang ins Ungewisse, sondern weitere Verhandlungsrunden zwischen Athen und den Partnern unter vorteilhafteren Bedingungen für die griechische Seite folgen werden.
Die Griechen und Griechinnen darüber zu beruhigen, dass es nach dem Referendum nicht automatisch zum Grexit kommt, sondern weitere Verhandlungen mit den Gläubigern folgen werden, ist für die Regierung Tsipras enorm wichtig, um bis zum Referendum den gegenwärtigen knappen Vorsprung des „Nein“ zu verteidigen. Denn das „Nein“ wäre ein neuer, weitgehender Auftrag seitens des Volkes, der die Linksregierung auch zum Bruch mit den EU-Partnern legitimierte. Im Wahlkampf vor fünf Monaten hatte sich Tsipras verpflichtet, zwar hart mit den Partnern zu verhandeln, um die Austeritätspolitik zu beenden, aber gleichzeitig alles zu tun, um Griechenland im Euro zu halten. Ein „Nein“ der Bevölkerung im Referendum könnte und würde die Regierung von der Last ihrer Wahlversprechen befreien.
Nun ist den Umfragen zu entnehmen, dass die Griechen trotz Kapitalkontrollen und Schlangen vor den Bankautomaten, trotz des Zusammenbruchs der Wirtschaft und bereits leerer Regale in den Supermärkten die Gefahr des Grexit immer noch für gering halten, wenn sie ihn nicht sogar befürworten. Laut den aktuellen Umfragen glauben 80% der Griechen, dass nach dem Referendum neue Verhandlungen für ein Abkommen mit den Partnern beginnen werden und dass die Turbulenzen bald vorbei sein werden. Vorsichtige Meinungsforscher stellen fest, dass die Stärke des „Nein“ im Referendum direkt mit der Stärke dieser Überzeugung zusammenhängt. Mag sein, dass der deutsche Finanzminister mit seinen harschen Reaktionen („Etwas akzeptieren, etwas zurückweisen – das gibt es jetzt nicht mehr“) auf die immer neuen griechischen Initiativen gerade dieses Vertrauen erschüttern will. Tsipras muss dagegen der Bevölkerung suggerieren, dass es Verhandlungen und Verhandlungsspielraum am Tag danach gibt. Und man sollte dabei nicht vergessen, dass der nach all dem während seiner Regierungszeit angerichteten Schaden für das Land nur dann persönlich eine politische Zukunft hat, wenn beim Referendum das „Nein“ überzeugend siegt – was auch immer damit genau abgelehnt wird.