Am Freitagabend, als der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras stolz seine Entscheidung verkündete, ein Referendum über die Reformvorschläge der Gläubiger abhalten zu wollen, wähnten sich viele Griechen noch in Sicherheit. „Die Gläubiger werden doch jetzt kleinbeigeben, ist es nicht so?“, fragte mich meine Tante, eine Rentnerin, die Tsipras in der Erwartung gewählt hatte, ihre Einkommenslage zu verbessern.
Die Tante war mit ihrer Überzeugung keineswegs allein, dass die Gläubiger aus Sorge um den Zusammenhalt der Eurozone nachgeben und von ihrer Forderung nach Fortsetzung der Austeritätspolitik verzichten würden, wenn nur eine griechische Regierung nur entschlossen genug auftreten würde. Bei den Meinungsumfragen vor den Wahlen vertraten 60% der Griechen und Griechinnen dieselbe Ansicht. Zu sehr hatten populistische Politiker und Journalisten seit 2010 ihnen eingeredet, dass die Vorgänger-Regierungen die harten Forderungen der Gläubiger ohne jeden Wiederstand akzeptiert hatten. Es kam also nur darauf an, endlich energisch aufzutreten.
Mit einem entschlossenen Kurs der Gläubiger hatten die Griechen kaum gerechnet. Die Warnungen der konservativen Opposition und einzelner Medien vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Staates, geschlossenen Banken, Kapitalverkehrskontrollen, stockendem Import wichtiger Waren wurden von der Mehrheit der Bevölkerung als Katastrophen-Geschwafel abqualifiziert. Dieser Teil der Bevölkerung wurde von den Entwicklungen am Wochenende überrascht. In einer Schlange, die sich vor einem entlegenen Bankautomaten gebildet hatte, sagte ein ratlos wirkender junger Mann: „Es ist kaum zu glauben. Es ist tatsächlich so, wie sie gesagt haben“. Mit dem sie meinte er wohl alle, die von dieser Entwicklung gewarnt hatten.
Ratlosigkeit ist derzeit das vorherrschende Gefühl bei der Bevölkerung. An den Schlangen vor den Bankautomaten am Wochenende merkte man keine Wut, nur Orientierungslosigkeit. Es herrschte Stille, die sonst so plauderfreudigen Griechen warteten schweigend und in sich gewandt, um ihr Geld abzuheben.