Vor dem Referendum: Die Griechen sind tief gespalten

Zwei Tage vor dem entscheidenden Referendum in Griechenland haben zwei griechische Bürger, ein Rechtanwalt und ein Diplom-Ingenieur, beim obersten Gericht des Landes eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die zwei Bürger zweifeln die Rechtsmäßigkeit des Referendums an und fordern das Gericht auf, es zu annullieren.

Das Gericht lehnte am Freitag Nachmittag diese Forderung ab. Nach aktueller Rechtslage sei es nicht zuständig, über die Verfassungskonformität der konkreten Regierungsentscheidungen zu urteilen und darüber hinaus gibt es vom Parlament bereits ein Urteil dazu. Die Initiative der beiden Bürger macht allerdings deutlich, wie gereizt die Fronten zwischen den Befürwortern des „Ja“ und des „Nein“ derzeit in Griechenland sind.

Das Referendum hat die tiefe Spaltung der griechischen Gesellschaft, die in den Jahren der Austeritätspolitik noch verstärkt wurde, politisiert. In der Gesellschaft formieren sich zwei Lager, mit jeweils entgegengesetzten Interessen. Um das „Nein“ sammeln sich die Bauern, die nicht besteuert werden wollen, die Rentner, die Angst vor weiteren Kürzungen ihrer Renten haben, die Beamten, die die Reformierung des öffentlichen Dienstes ablehnen, die Einkommensschwachen, die denken, dass sie nichts zu verlieren haben. Auf der „Ja“ Seite findet man die dynamischen Schichten in den Großstädten (Manager, Professionals, Unternehmer), die genau wissen, was bei einem möglichen Staatsbankrot auf dem Spiel steht. Darüber hinaus aber bringt das Referendum alle möglichen politischen Animositäten zum Vorschein, die zwar tiefe Wurzeln haben, die man aber schon längst vergessen glaubte. So scheint das „Ja“ in Nordgriechenland an Fahrt zu gewinnen, weil das Gebiet traditionell eine konservative Hochburg ist und nicht wenige Leute dort den „Kommunisten an der Regierung“ eine Lektion erteilen wollen. Dagegen scheint das „Nein“ in Regionen mit einer politisch progressiven Tradition, wie Kreta oder Patras, unaufhaltsam zu sein. Dabei sollte man nicht außer Acht lassen, dass für die meisten Griechen und Griechinnen die politische Sozialisation eine familienbezogene Angelegenheit ist, deren Wurzeln bis zum blutigen Bürgerkrieg von 1946-1949 reichen.

Das politische Personal hat in diesem Lagerwahlkampf eindeutig Stellung bezogen. Neben den Regierungsparteien SYRIZA und Unabhängigen Griechen haben sich für ein „Nein“ die kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die Neonazis vom „Goldenen Morgen“ Stellung genommen. Auf der anderen Seite addieren sich die ehemaligen Großparteien, die konservative Nea Demokratia und die sozialistische PASOK, sowie die neue Kraft in der Mitte, die Potami von Stavros Theodorakis und etliche Splittergruppen. Auf der Basis der Wahlergebnisse von Januar haben die Nein-Befürworter einen kleinen Vorsprung, zusammen bekamen sie auf 52% der gültigen Stimmen, wogegen die Ja-Befürworter nur auf 40% bis 42% in die Urnen tragen konnten. Die letzten Umfragen sagen einen ganz knappen Ausgang voraus. Als der vielleicht größte Nachteil für das „Ja“ Lager könnte sich erweisen, dass die sogenannten Systemkräfte, die das Volk für den Bankrott des Landes verantwortlich macht, geschlossen das „Ja“ unterstützen. Bezeichnend dafür ist, dass alle ehemaligen noch lebenden Ministerpräsidenten haben in den letzten Tagen an das Volk appelliert sich für „Ja“ zu entscheiden.

Dies könnte sich als ein zweischneidiges Schwert erweisen. Denn diese Appelle, sowie auch die Appelle die aus Brüssel und den europäischen Hauptstädten kommen, könnten das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich erreichen wollen. Seit 2012 entscheiden sich bei jeder Wahl immer mehr Griechen so, um ihren Ärger mit dem System und ihre Ablehnung der Sparforderungen aus Europa zum Ausdruck zu bringen.

 

Über den Autor

Panagis Galiatsatos ist Journalist. Derzeit arbeitet er für die griechische Zeitung Real News und das Radio Real Fm. Er ist ferner Wirtschaftskorrespondent für die Neue Zürcher Zeitung in Athen.