Thessaloniki - Facetten einer Stadt

Im Rahmen der Europäischen Kulturtage des Museum Europäischer Kulturen Berlin unter dem Titel „Thessaloniki – Facetten einer Stadt“ (9.8.-9.9.2018) organisierte die Heinrich Böll Stiftung Griechenland zwei Veranstaltungen. Wir nutzten diese Gelegenheit für den deutsch-griechischen Dialog über das erinnerungspolitische Thema der Vernichtung der jüdischen Gemeinde der Stadt während der deutschen Okkupation und über das sozialpolitische Thema von Sparpolitik und Solidarität in der Gegenwart.

Großes Publikumsinteresse fand die erinnerungspolitische Veranstaltung „Salonica –Erinnerungen an das untergegangene  Jerusalem des Balkans“, die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Verein Respekt für Griechenland e.V. am 23. August im MEK stattfang. Deutsche und griechische Historiker/innen, darunter ein Mitglied des Präsidiums der jüdischen Gemeinde Griechenlands, erinnerten mit Vorträgen und Kurzfilm die Geschichte der ehemaligen jüdischen Großstadt Thessaloniki im osmanischen Reich, den Prozess ihrer „Hellenisierung“ nach ihrer Einverleibung im griechischen Nationalstaat nach den Balkankriegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der Grundlegung des „modernen“ Gesichts der Stadt durch den Holocaust, dem während der deutschen Okkupation 1941-44 rund 50.000 Jüdinnen und Juden, etwa ein Fünftel der Stadtbevölkerung, zum Opfer fielen. Diese Geschichte ist nicht nur weithin unbekannt, sie wird selbst in Thessaloniki bis heute und in Deutschland vielfach verdrängt. Die Stadt will  nicht an ihre multikulturelle Vergangenheit, an das dunkle Kapitel von Kollaboration und Antisemitismus erinnert werden. Die Bundesrepublik fördert zwar seit zwei Jahrzehnten den erinnerungspolitischen Dialog, will aber nichts von Entschädigungszahlungen wissen. Daran wird sie jedoch in den kommenden Monaten erinnert werden, wenn das griechische Parlament die Rückzahlung von Zwangsanleihe, den Erpressungsgeldern von der Jüdischen Gemeinde und die Entschädigung für Massaker der deutschen Wehrmacht an die Zivilbevölkerung fordern wird.

 

Die zweite gut besuchte Veranstaltung im Rahmen der Kulturtage widmete sich am 25.8.2018 einem aktuellen Thema, der „Solidarität in Zeiten der Krise in Thessaloniki“. Der Angriff auf den Euro, die damit verbundene griechische Fiskalkrise und die Sparprogramme stürzten viele Menschen in Griechenland in existentielle Not. Sie verloren Arbeit und oft auch ihre Wohnungen. Dann beschloss 2012 die griechische Regierung in Übereinstimmung mit der Troika auch noch, dass Arbeitslose ihren Krankenversicherungsschutz verlieren. In dieser Zeit stieg auch noch die Zahl der Flüchtlinge, die in den Städten eintrafen. Die beiden Referent/innen aus Thessaloniki, die Journalistin Stavroula Poulimeni und Ilias Anagnostopoulos von Flüchtlingszentrum „ALKYONI“, berichteten, wie in dieser Situation sich viele Menschen in Thessaloniki auf den Weg machten und solidarische Initiativen der Hilfe und Selbsthilfe gründeten – beispielsweise kostenfreie Sozialkliniken oder Initiativen für die Versorgung der Flüchtlinge - , und wie Menschen aus ganz Europa, und ganz besonders aus Deutschland, in beeindruckender Weise durch Spenden und praktische Hilfe ihre Solidarität bewiesen. Während die europäische Krise die Staaten und die öffentliche Meinung gegeneinander in Stellung brachte, hat sie die Menschen bei der Verteidigung sozialer und humanitärer Mindesstandards auch zusammengebracht.