Neuwahlen im Herbst wahrscheinlich

Ministerpräsident Alexis Tsipras kann tief aufatmen. In den Morgenstunden vom Donnerstag hat er bei der Abstimmung über das zweite Paket der in Brüsseler vereinbarten „prior actions“ zwar erneut keine eigene Mehrheit erzielen können; doch die Zahl der Abweichler aus seiner Fraktion war um 3 Stimmen geringer als noch vor einer Woche. Dieses Mal unterstützten 126 Abgeordnete der Regierungsfraktion die im Eilverfahren eingebrachten zwei Gesetze zur Sanierung von Banken nach den Prinzipien der europäischen Bankenunion und zur Verkürzung von Zivilprozessen, die die Pfändung von Immobilien säumiger Kreditnehmer erleichtern soll.

Das zweite Paket umfasst zwei Gesetze Beide zielen auf die Stabilisierung des griechischen Bankensenktors: das erste ist die Umsetzung der europäischen Bankenunion und sieht  – wie auf Zypern praktiziert - die Beteiligung von Bankkunden und Gläubigern an der Sanierung der Banken vor – jedoch erst ab 2016. Bis dahin hofft die griechische Regierung die Banken durch europäische Kredite rekapitalisieren zu können. Das zweite Gesetz soll durch Änderungen des Zivilrechts den Banken die Verwertung der bei Immobilienkrediten hinterlegten Sicherheiten erleichtern. Etwa die Hälfte der von den griechischen Banken vergebenen Kredite ist notleidend. Das Gesetz erlaubt nun die Pfändung von Zweitwohnungen durch Verkürzung des Rechtsweges. Die in Griechenland hoch umstrittene Frage der Pfändung von Erstwohnungen, die zurzeit mit Zustimmung der Banken ausgeschlossen ist, ist erst einmal vertagt. Der Ministerpräsident, der erneut kundtat, dass er nicht hinter den Absichten des vereinbarten Reformpakets steht, dem er aber zustimmen musste, um Schlimmeres für das Land abzuwenden, hat damit Maßnahmen mit einer gewissen „strategischen Ambivalenz“ durchgesetzt. Brüssel spricht wohl auch deshalb von „zufriedenstellenden Ergebnissen“. Der Weg für den Beginn der Verhandlungen über einen ESM-Kredit sei nun frei.

 

Spaltung im Syriza-Bündnis führt zu Neuwahlen

Parallel zu diesen Verhandlungen scheint nun auch der Weg frei für Neuwahlen in Griechenland. Die Spekulationen darüber folgen einfachen Überlegungen. Vor der Einigung in Brüssel zählte die Regierungsmehrheit aus Syriza, Unabhängigen Griechen und Ökologen-Grünen noch 162 Mandate. Danach braucht sie die europaorientierte Opposition. Die konservative ND, die sozialistische PASOK und die neue liberale Zentrumpartei „Potami“ haben wie vor zwei Wochen den Gesetzen zugestimmt, die Maßnahmen wurden vom Parlament mit einer satten Mehrheit von 230 Stimmen angenommen. Auf Dauer kann Ministerpräsident Tsipras so nicht weiterregieren. Denn die 36 Dissidenten sind allesamt Mitglieder seiner eigenen Fraktion, während seine Koalitionspartner seinen neuen Kurs mittragen. In seiner Partei dürfte Ablehnung seines neuen Kurses noch größer sein. Die schlagartige Kursänderung hat die Partei in helle Aufregung versetzt. 106 Mitglieder des Zentralkomitees haben die Einberufung einer Sitzung beantragt, um die Brüsseler Vereinbarung in Frage zu stellen. Der Ministerpräsident zog vor, diesen zu ignorieren. Er braucht Zeit für erste Erfolge, um sich dann den Wählern stellen zu können.

Die innerparteiliche Opposition der sogenannten „Linke Plattform“, zu der mehrheitlich die 36 Abweichler seiner Fraktion gehören, ist sehr stark. Sie stellt etwa 40% der Mitglieder des Zentralkomitees. Hinzu kommt, dass Alexis Tsipras die Dissidenten nicht einfach aus der Partei ausschließen kann, denn dafür braucht er laut Satzung eine Zweidrittel-Mehrheit, über die er nicht verfügt. Die Dissidenten werden ihm hingegen nicht den Gefallen tun und freiwillig austreten. „Die Prinzipien und die Beschlüsse der Partei haben nicht wir verraten“, lautet das Argument der Dissidenten. Das ist wiederum nicht wahr. Das Programm von Thessaloniki, mit dem SYRIZA im Wahlkampf auftrat, sah ein Ende der Memorandum-Politik und den Verbleib im Euro vor. Alexis Tsipras räumt nun, wenn auch widerwillig, die Fortsetzung der Memorandum-Politik ein. Die linke Plattform aber zieht den umgekehrten Schluss: sie will Griechenland aus dem Euro führen – eine Position, mit der Syriza die Wahlen wohl verloren hätte.

Unter diesen Umständen zeichnet sich im griechischen Parlament eine merkwürdige Kohabitation ab, die voraussichtlich bis zum Herbst dauern wird. Im September soll der neue ESM-Kreditvertrag unter Dach und Fach sein. Dann erst will Alexis Tsipras einen Parteikongress einberufen. Ob allerdings dann zur Klärung der festgefahrenen innerparteilichen Lage kommt, bleibt fraglich. Bis dahin könnte es auf Initiative der Dissidenten auch zur Spaltung der Partei kommen. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus.

Gespräche mit Vertrauten des Ministerpräsidenten vermitteln den Eindruck, dass Alexis Tsipras sein innerparteiliches Problem über ein Urteil des Volkes zu lösen versuchen wird. Er wird den Abschluss des Kreditvertrags als Erfolg verkünden und voraussichtlich im Oktober Neuwahlen abhalten lassen. Neuwahlen kurz nach den letzten Wahlen geben dem Parteichef das Recht, über die Kandidatenlisten selbst zu entscheiden. Die innerparteiliche Demokratie würde beschränkt, und er könnte Dissidenten auf aussichtslose Plätze verweisen oder ganz als Kandidaten/innen ausschließen. Dies würde sie zwingen, aus der Partei auszutreten. Einer linken Anti-Euro-Partei wird in Griechenland heute ein Wählerpotential von etwa 15 Prozent zugetraut.

Abgrenzung von den „Alt-Parteien“

Für Neuwahlen spricht auch der Wille des Ministerpräsidenten, seine Abhängigkeit von der Opposition so schnell wie möglich zu beenden. Vor allem die Unterstützung der ehemals großen Parteien PASOK und ND sind ihm persönlich gefährlich. Seine Popularität und die breite Zustimmung, die er bei der Bevölkerung immer noch genießt, gründen auf eine bisher überzeigende Abgrenzung vom „alten politischen System“. Der Eindruck, dass er nun gemeinsam mit den Exponenten dieses alten Systems regiert und wie diese „von außen“ aufgezwungene Gesetze durch das Parlament bringt, kann sein Ansehen nur schaden. Deshalb versucht er mit allen Mitteln die Distanz zu bewahren. In den zwei letzten Parlamentsdebatten über die prior actions bestand er auf einem harten, teilweise diffamierenden Konfrontationskurs gegenüber den „Alt-Parteien“ - obwohl er auf deren Stimmen angewiesen war.

Dies verursachte großen Ärger auf der anderen Seite. Allerdings können die ND und die PASOK ihre Unterstützung nicht entziehen, denn das würde bedeuten, die Zugehörigkeit Griechenlands zur Eurozone zu gefährden. Auch liegt ein Scheitern der Regierung vorerst nicht in ihrem Interesse. Denn die Dominanz von Alexis Tsipras ist in der griechischen politischen Szene derzeit unbestritten, bei Neuwahlen müsste die ND mit einer weiteren herben Niederlage rechnen, die PASOK würde sogar existenziell gefährdet.

Aus Sicht der europafreundlichen Opposition wäre die beste Lösung die Bildung einer Koalition der Willigen, die die Vereinbarungen von Brüssel und die Auflagen des neuen ESM-Vertrags umsetzt. Die ND wäre bereit, sich an einer solchen Koalition zu beteiligen, wenn die Voraussetzung erfüllt wird, dass das Reformprogramm verbindlich und genug Zeit vorhanden ist, um es vollständig umzusetzen. Eine Koalition für wenige Monate macht die Opposition nicht mit. Doch von einer so definierten Koalition will Alexis Tsipras nichts hören, es ist deshalb wahrscheinlich, dass er im Herbst Neuwahlen anstreben wird. Wie die Meinungsumfragen derzeit aussehen, könnte er dabei seine Position weiter verstärken und möglicherweise die absolute Mehrheit erreichen und alleine regieren.

Diese Perspektive mag verführerisch sein, sie löst allerdings das Hauptproblem von Alexis Tsipras nicht. Denn die Aufgabe jeder griechischen Regierung wird sein, die im Rahmen des ESM-Kreditvertrags zu beschließenden Maßnahmen und Reformen in die Praxis umzusetzen. Der Ministerpräsident hat aber die Einigung von Brüssel als das Ergebnis einer Erpressung bezeichnet und beteuert, dass er an diese Politik nicht glaubt. Seine Minister haben fast in Tränen die Gesetze in das Parlament eingebracht und dabei klar gemacht, dass sie ihnen in der vorliegenden Form nicht als geeignet erscheinen. Dies ist nicht neu. Das war auch die Grundhaltung der griechischen politischen Elite zu den Spar- und Reformbedingungen der vorangegangenen Memoranden in den letzten fünf Jahren.

Im Land mag Alexis Tsipras mit dieser Haltung erneut eine Mehrheit erhalten, aber die Bedingungen für die Umsetzung der Vereinbarungen haben sich verändert, seit der Grexit auf der Tagesordnung steht.